Das Aufwachsen in Strukturen von organisierter und ritueller Gewalt kann zu einem "Doppelleben" führen. Das innere Persönlichkeitssystem der Dissoziativen Identitätsstruktur und ebenso das äußere Leben sind getrennt in eine Gewaltwelt und eine Alltagswelt. Alltagspersönlichkeiten wissen oft zunächst nichts von der Gewalt in den organisierten Gewaltstrukturen und haben ein mehr oder weniger „normales“ Alltagsleben. Andere Persönlichkeiten/Persönlichkeitsanteile kennen nur Situationen der Gewaltwelt (z.B. Zwangsprostitution oder bestimmte Aufgaben im Rahmen der Ideologie der Gruppe). Andere Persönlichkeiten/Persönlichkeitsanteile sind darauf trainiert, die Alltagswelt zu beobachten und einzugreifen, wenn eine Situation für die Täter*innen gefährlich werden könnte.

Die massiven Gewalterfahrungen führen jedoch häufig auch zu Beeinträchtigungen im Alltagsleben. So können körperliche Schmerzen und weitere psychosomatische Symptome auftreten. 

Bilder, Gerüche, Todesangst können als Flashbacks oder Alpträume trotz der inneren dissoziativen Barrieren die Alltagspersönlichkeiten beeinträchtigen. Erinnerungslücken und unerklärliche körperliche Verletzungen kommen hinzu. Manchmal suchen Betroffene dann Hilfe in Arztpraxen oder bei Therapeut*innen, ohne selbst die Hintergründe zu kennen.

Weitere Informationen: 

VIELFALT e.V. (2021): Organisierte und Rituelle Gewalt. Unterstützung für Betroffene. Eine Einführung für psychosoziale Fachkräfte. Broschüre, erhältlich über VIELFALT e.V.

Fliß, C., Igney, C. (2011): Rituelle Gewalt – Welche spezifischen Folgen hat diese Form der Gewalt für die Betroffenen? In: S.I.E. e.V. (2011): Rituelle Gewalt. Vom Erkennen zum Handeln. Dokumentation der Tagung vom 6. November 2009 in Trier. (S. 42-64), Lengerich: Pabst Science Publishers.

Fröhling, U. (2008): Vater unser in der Hölle. Bergisch-Gladbach: Bastei-Lübbe. (Erfahrungsbericht)

Leonie (2012): Ausstieg aus der Hölle. Mein Weg aus dem Dunkel ins Licht. Berlin: Wagner. (Erfahrungsbericht)

Lindstrom, Helen & Sniehotta, Jutta (2016): Abwegig. Überleben und Therapie bei ritueller Gewalt. Kröning: Asanger. (Erfahrungsbericht)

Nick, S., Schröder, J., Briken, P., Richter-Appelt, H. (2018). Organisierte und rituelle Gewalt in Deutschland. Kontexte der Gewalterfahrung, psychische Folgen und Versorgungssituation. Trauma & Gewalt, Jg. 12, S. 244-261.  

Nick, S., Schröder, J., Briken, P., Richter-Appelt, H. (2019). Organisierte und rituelle Gewalt in Deutschland. Praxiserfahrungen, Belastungen und Bedarfe von psychosozialen Fachkräften. Trauma & Gewalt, Jg. 13, S. 114-127.  Beides verfügbar unter https://www.aufarbeitungskommission.de/kommission/forschung-studien-kindesmissbrauch/professionelle-begleitung-betroffener-organisierter-ritueller-gewalt/

Smith, M. (1994): Gewalt und sexueller Missbrauch in Sekten. Zürich: Kreuz. 

Wissensportal zu organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt https://www.wissen-schafft-hilfe.org/